Open Archives, Eckpfeiler einer demokratischen und kulturell vielfältigen Wissensgesellschaft

Vorliegendes Paper versteht sich als Diskussionsbeitrag zur Veranstaltung „Neue Netzpolitik“ und befasst sich mit dem Aspekt der Digitalisierung und Archivierung künstlerischer und kultureller Produktion, insbesondere von Rundfunkproduktionen öffentlich-rechtlicher und nicht-kommerzieller/ freier Rundfunkveranstalter. Zentral ist hierbei die Forderung nach öffentlichem (online) Zugang zu solchen Archiven unter Wahrung und Verbesserung der Bedingungen kultureller Produktion.

Von Margarita Koehl und Alexander Baratsits

Digitale Technologien haben die Möglichkeiten für die Produktion und den Austausch kultureller und künstlerischer Werke revolutioniert. Durch die technologischen Entwicklungen hat sich der Zugang zu, wie auch die Produktion von (kulturellen) Werken technisch stark vereinfacht. Auch die Zugänglichkeit kultureller Produktion wurde bedeutend erweitert, was zu einer enormen Verbreiterung der Formulierung und Kontextualisierung von Inhalten, d.h. der kulturellen Produktion in den wissensbasierten Gesellschaften (Stichwort Web 2.0, Open Access Bewegung etc) beitrug.

 

Unbestritten ist dabei, dass Wissen und kulturelle Produktion auf bereits bestehendes Vor-Wissen und bestehende Werke aufbaut, weshalb die Archivierung und der offene Zugang zu solchen Werken essentiell sind. Durch die zunehmende Schaffung von ausschließlich digitalisierten Werken haben digitale Archive nicht nur für die leichtere Verfügbarkeit von Werken Relevanz, sondern sind auch für die Erhaltung und Kontextualisierung (cultural mapping) zeitgenössischen kulturellen und künstlerischen Schaffens unabdingbar.

 

Den Beitrag, den solche Open Archives für Demokratie, kulturelle Vielfalt und die Erhaltung des kulturellen Erbes leisten können, ist

evident, verwiesen sei dabei u.a. auf die UNESCO-Deklaration und das “Übereinkommen zum Schutz und der Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen” der UNESCO von 2005. Daraus leitet sich auch der besondere Auftrag der Gesellschaft (der Staaten) ab, zur Existenz solcher Open Archives beizutragen, das heißt vor allem rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen, verknüpft mit der Gewährleistung eines offenen Zugangs zu solchen Archiven, insbesondere wenn es sich um mit öffentlichen Mitteln akkumulierte Information handelt.

 

Obwohl die Digitalisierung die kulturelle Produktion technisch revolutionierte, blieben die faktischen Möglichkeiten weit hinter den Erwartungen zurück und harren noch immer weitgehend einer Lösung, insbesondere des (urheber)rechtlichen Rahmens.

 

In ihrer Rede mit dem Titel „Eine digitale Welt der Möglichkeiten“ unterstrich EU-Kommissarin Neelie Kroes die Potenziale der Digitalisierung kultureller Werke für Künstler/innen, die europäische Öffentlichkeit und die kulturelle Vielfalt. Sie wies allerdings ausdrücklich darauf hin, dass die unterschiedlichen Urheberrechtsgesetze diese Möglichkeiten stark einschränken würden und führte mehrere Gründe an, warum das bestehende System nicht funktioniere. Als Beispiel nannte sie ‚Europeana‘, eine Sammlung von 12 Millionen Büchern, Bildern, Karten, Musikstücken und Videos, die auf Grund ungeklärter Urheberrechtsfragen ungenutzt bleiben könnte:

 

Europeana could be condemned to be a niche player rather than a world leader if it cannot be granted licenses and share the full catalogue of written and audio-visual material held in our cultural institutions. (…) Today our fragmented copyright system is ill-adapted to the real essence of art, which has no frontiers. Instead, that system has ended up giving a more prominent role to intermediaries than to artists. It irritates the public who often cannot access what artists want to offer and leaves a vacuum, which is served by illegal content, depriving the artists of their well deserved remuneration. And copyright enforcement is often entangled in sensitive questions about privacy, data protection or even net neutrality.

 

Die Problematik liegt vielfach darin, dass die Rechteinhaber bestehender Werke, die wiederum aus mehreren anderen Werken zusammengesetzt sein können, nicht mehr eruierbar sind (verwaiste Werke), oder es sich um eine Vielzahl von Rechteinhabern handeln kann, deren Rechte territorial auf einzelne Staaten beschränkt sind. Oder aber die Rechteinhaber (z.B. Musik) sind nur an einer exklusiven Verwertung ihrer Werke interessiert oder wollen ausschließlich selbst die Verwertung besorgen.

 

Die genannten Probleme stellen sich im Besonderen auch bei der Digitalisierung und online Zurverfügungstellung von Rundfunkarchiven. Der Rundfunksektor verfügt über umfangreiche Archive, deren Aufbau im Falle öffentlich-rechtlicher und nicht-kommerzieller Rundfunkstationen überwiegend durch öffentliche Gelder finanziert wurde. Während für die Senderechte in Österreich (und wohl den meisten anderen Staaten) etwa das System einer gesetzlichen Lizenz existiert, wonach Rechteinhaber (z.B. Komponisten etc) die Nutzung ihrer Werke nicht unterbinden können, jedoch einen Vergütungsanspruch haben, der zentral von Verwertungsgesellschaften wahrgenommen wird, ist für das Zurverfügungstellungsrecht das Institut der gesetzlichen Lizenz eben nicht vorgesehen. Selbst Eigenproduktionen der Rundfunkanstalten können vielfach nicht online gestellt werden, weil andere Rechte berührt sind (z.B. Musik oder Sprecher, etc) und eingeholt werden müssen. Dies führt zu immensen Transaktionskosten, Gelder, die für kulturelle Produktion verloren gehen. Die aufwändige Klärung der Rechte führt vielfach  nicht dazu, dass die Werknutzung tatsächlich möglich ist und selbst der Anteil an Werken, für den Nutzungsrechte vorliegen, ungenutzt bleibt! Besonders im Falle nichtkommerzieller Nutzung übersteigen die Transaktionskosten für die Einholung der Rechte zur Nutzung solcher Werke den (Produktions-)Rahmen. Oftmals scheitert der Abschluss einer Nutzungsvereinbarung kleiner Plattformen an den, für kommerzielle Nutzung konzipierten, Lizenzmodellen der Rechteinhaber oder schlicht an deren Weigerung zu lizenzieren. Damit verursacht das derzeitige Rechte-Regime eine Einschränkung (nichtkommerzieller) kultureller Ausdrucksformen und beschränkt damit auch die Meinungsäußerungsfreiheit. Gerade die nichtkommerzielle kulturelle Produktion von Freien Radios oder im Web 2.0/Social Media Bereich leistet durch inhaltliche Differenzierung und Do it yourself-Charakter einen besonderen Beitrag zu kultureller Vielfalt und Meinungsäußerungs-/Informationsfreiheit.

 

Zur Lösung der Problematik öffentlich zugänglicher online Rundfunkarchive wären daher von Entscheidungsträgern und Gesetzgebern u.a. folgende Aspekte zu adressieren:

 

Definition eines kulturellen Auftrages für Open Archives;

Finanzierung des Digitalisierungsprozesses bzw. des Aufbaus und Betriebs derselben und des offenen Zugangs zu solchermaßen durch öffentliche Gelder finanzierte Archive, im Besonderen der Rundfunkarchive des ORF und der nichtkommerziellen, freien Radios; die Kosten würden vor allem Rechteklärung und -abgeltung betreffen;

(Gesetzliche) Lösungen, um eine Klärung der Rechte für die Online-Verbreitung von Archivinhalten durch Rundfunkveranstalter herbeizuführen (z.B. gesetzliche Lizenz oder freiwillige kollektive Lizenz mit Vergütungsanspruch);

Festlegung einer tragfähigen Definition ‚verwaister Werke‘ und der Nutzung solcher (z.B. Lizenzierung durch Aufsichtsbehörde oder Verwertungsgesellschaften);

Untersuchung der Funktionsweise der Verwertungsgesellschaften bezüglich der Lizenzierung von Online-Rechten, da es bisher nicht möglich ist, eine globale Lizenz zu erhalten.

Funktionierende Modelle zeitgemäßer, angemessener und gerechter Vergütungsmodelle für kulturelle Produktion.

Welche Vor- und Nachteile würde eine weitere Harmonisierung des Urheberrechts hinsichtlich der Entwicklung von grenzüberschreitenden Online-Diensten bringen, die auf online Archive zurückgreifen?

Prüfung der Möglichkeit eines einheitlichen europäischen Urheberrechts.

 

 

Bei nicht-kommerzieller kultureller Produktion bzw. Social Media ergeben sich dazu ua noch folgende Problemstellungen:

 

Mindeststandards für Userrechte (Privacy/Zensur/Urheberrechte) bei der Nutzung Social Media

 

Social Media wie Facebook, MySpace etc werden von den Betreibern zunehmend für kommerzielle Verwertung genutzt. Auf Kosten der User werden Privacy-Erfordernisse nicht eingehalten, bestimmte Inhalte (auch politischer Art) zensuriert und schließlich die Urheberrechte der User/innen aufgrund einseitiger AGBs den Plattformen überlassen; gefordert sind daher die Förderung unabhängiger Plattformen und ein (gesetzlicher) Mindeststandard, der von Social Media zu gewährleisten ist – zur Sicherung der Rechte der User solcher Plattformen.

 

Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft bei Verwertungsgesellschaften und CC-Lizenzierung einzelner Werke

 

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Grenzen zu „semi/professionellen Urhebern“ bei Nutzern von Independent Digital Content Archives wohl fließend sind. Manche Kreative stellen Teile ihre Werke unter Creative Commons Lizenzen, welche mit dem aktuellen System der Verwertungsgesellschaften in Österreich unvereinbar sind. Letztere stellen nämlich einen Vertretungsanspruch auf das gesamte Werk und akzeptieren die Lizenzierung einzelner Werke unter CC-Lizenzen nicht, selbst wenn dies nur für den Fall der nichtkommerziellen Nutzung sein sollte. Um eine der Praxis entsprechende differenzierte kulturelle Produktion zu ermöglichen, sollte eine Vereinbarkeit hergestellt werden.

 

 

Margarita Köhl, Alexander Baratsits

 

Margarita Köhl, Maga ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien mit Schwerpunkt Technologieauswirkung und journalistisch ua für die Ö1 Wissenschaftsredaktion tätig. Email: margarita.koehl@univie.ac.at

 

Alexander Baratsits, Mag Dr MAS ist als Jurist in einer Wiener Wirtschaftskanzlei tätig, forscht unter anderem zu Immaterialgüterrecht mit Schwerpunkt InfoRl und Freie Werknutzung sowie (Rundfunk-)Datenbanken. Ehemaliger Geschäftsführer der Freier Rundfunk Oö GmbH. Email: alexander.baratsits@servus.at

Durch die technischen Entwicklungen hat sich schließlich auch der Zugang zur Archivierung selbst verbreitert und der Möglichkeit einer kollaborativen Verwaltung und Verknüpfung von Werken eine weitere Dimension hinzugefügt.

„Cultural Mapping“ wurde von der UNESCO als Methode zur Dokumentation von immateriellem Wissen und kulturellen Gütern definiert. online unter http://portal.unesco.org/culture/en/ev.php-URL_ID=33020&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html (letzter Zugriff am 24.09.2010)

Der Begriff der “Kulturellen Vielfalt” wird unter Artikel 4 des “Übereinkommens zum Schutz und der Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen” (2005) wie folgt definiert: „”Kulturelle Vielfalt“ bezieht sich auf die mannigfaltige Weise, in der die Kulturen von Gruppen und Gesellschaften zum Ausdruck kommen. Diese Ausdrucksformen werden innerhalb von Gruppen und Gesellschaften sowie zwischen ihnen weitergegeben.”

In dieser wird betont, dass nur unter Einbeziehung und Mitwirkung aller Bürger der soziale Zusammenhalt und die Vitalität der Zivilgesellschaft gesichert werden könne und kultureller Pluralismus als Basis für kulturellen Austausch und die Entfaltung kreativer Kapazitäten unterstützt und gewährleistet werden. Deklarationstext einsehbar online unter http://www.humanrights.ch/home/de/Themendossiers/Minderheitenrechte/Standards/UNESCO-Dokumente/idcatart_2297-content.html?zur=530, (letzter Zugriff am 12.01.2010).

Dort wird wiederholt die Wichtigkeit der freien Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie der Medienfreiheit für die Entfaltung kultureller Ausdrucksformen in der Gesellschaft betont. siehe online unter http://www.unesco.at/kultur/basisdokumente/uebereinkommen_schutz_foerderung_vielfalt_kultureller_ausdrucksformen.pdf (letzter Zugriff am 20.12.2010)

In diesem Zusammenhang wird auf die Berlin Declaration on Open Access to Knowledege in the Sciences, siehe http://www.zim.mpg.de/openaccess-berlin/berlin_declaration.pdf. verwiesen.

Rede vom 5.11.2010 online unter http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=SPEECH/10/619&format=HTML&aged=0&language=EN&guiLanguage=en (Stand 4.1.2011).

Vgl dazu zB „Mehrsprachig und lokal, Nichtkommerzielle Rundfunk und Public Value in Österreich.“ Schriftenreihe der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH.

Im Rahmen eines Expertenworkshops zum Thema „Digitalisierung und Online Verwertung von Rundfunkarchiven“ des Instituts für Informationsrecht der Universität Amsterdam (IViR) gemeinsam mit der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle am 24.April 2010 wurden die genannten Problembereiche (zum Teil) andiskutiert. Vgl de Beer in IRIS Spezial: Digitalisierung und Online-Verwertung der Rundfunkarchive, Europäische Audiovisuelle Informationsstelle, Straßburg 2010.

Als Alternative würde sich ein System der Zwangslizenz gekoppelt mit einem Vergütungsanspruch beschränkt auf nichtkommerzielle Nutzung anbieten. Zum Zwecke der Sicherung kultureller Vielfalt, Zugang und demokratischer Partizipation trägt der digitale Wohlfahrtsstaat die Vergütung (wie etwa auch für Unterrichtszwecke, vgl § 45 UrhG). Damit würde es sich

um keine Freie Werknutzung handeln, da ein Vergütungsanspruch besteht und wäre eine solche Bestimmung im Einklang ua mit der Info-Richtlinie der EU. In einem solchen Fall könnte durch die Aufzeichnung der tatsächlichen Nutzung von Werken auch angemessene Vergütung der Rechteinhaber (anstelle einer Pauschalvergütung) und damit ein Rückfluss ua auch in die lokale und regionale Produktion hergestellt werden. Vgl dazu auch Grassmuck, Volker, Alternative Kompensationssysteme, FIfF-Kommunikation 4/04, S 50ff; von Lewinski, Sylvia, Mandatory Collective Administration of Exclusive Rights – A Case Study On Its Compatibility With

International and EC Copyright Law, UNESCO e-Copyright Bulletin, No 1/2004.

 

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk bzw. Inhalt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell 3.0 Österreich Lizenz.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert